Die Kultur der Compliance als Schlüssel zur nachhaltigen Unternehmensführung
Prof. Dr. Andreas Kark, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der compliance consultancy
Veröffentlicht in: DiALOG - DAS MAGAZIN FÜR DEN DIGITALEN WANDEL | 2021
War der Begriff „Compliance“ vor wenigen Jahren noch für viele mittelständische Unternehmen eher ein Fremdwort, das im Sprachgebrauch börsennotierter Großkonzerne zu verorten war, so hat sich das Bild in den letzten Jahren spürbar gewandelt.
Nicht nur die Legislative und die Gerichte fordern im Rahmen immer weiterer Gesetzesverschärfungen und strengerer Urteile ein, dass sich Unternehmen und deren Mitarbeiter:innnen an unsere Rechtsordnung zu halten haben. Trotzdem stößt man bei der Lektüre der Presse auf eine scheinbar nicht endend wollende Zahl von Compliance-Verstößen. Dabei bewegen wir uns in Deutschland mittlerweile in Dimensionen, die man vor zwanzig Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Der Dieselskandal, das LKW-Kartell und die Wirecard AG werfen kein gutes Licht auf „Made in Germany“ und das Verhalten von einigen Abgeordneten in Zusammenhang mit der Pandemie macht sprachlos.
Die Reaktionen hierauf sind bekannt: immer mehr und immer schärfere Gesetze. Aber auch in der Geschäftswelt fragen z.B. die großen Automobilhersteller immer intensiver bei ihren Zulieferern nach, wie es um deren Compliance bestellt ist. Dabei wird kein Zweifel gelassen, dass man als Lieferant bestimmte Mindestanforderungen an ein Compliance-Managementsystem erfüllen muss, will man weiterhin für diese Konzerne tätig sein. Zwischenzeitlich hat sich die Entwicklung sowohl vertieft als auch verbreitert.
Es ist nicht mehr ausreichend, einen Verhaltenskodex und die üblichen Compliance-Richtlinien vorzuhalten. Vielmehr muss man als Zulieferer auch Fragen beantworten können, die die Compliance-Prozesse des Unternehmens betreffen, wie z.B. das Compliance-Risikomanagement. Auch wird erwartet, dass der Tier-1-Zulieferer diese Anforderungen an den Tier-2-Zulieferer herunter kaskadiert und seinerseits überprüft, ob der Tier-2-Lieferant sich an die Vorgaben hält.
Gleichzeitig werden Themen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit immer stärker abgefragt, sodass der berechtigte Eindruck entsteht, dass Compliance und Nachhaltigkeit zwei Seiten derselben Medaille darstellen. Und tatsächlich sind diese Themen aus einer modernen Unternehmensführung nicht mehr wegzudenken.
Compliance und Corona
Die Frage nach der einen Ursache bzw. den Wirkzusammenhängen, die zu den o.g. schwerwiegenden Compliance-Verstößen führten, ist mit juristischen Mitteln nicht zu beantworten. Dies zeigte sich auch in dieser Zeit der scheinbar nicht enden wollenden, schwierigen Lebensumstände, in welchen wir uns durch die Corona-Pandemie seit März 2020 befinden.
Es gab und gibt eine ganze Reihe, relativ einfacher Vorgaben durch die Legislative, die es dem Virus erschwert bis unmöglich gemacht hätte, sich zu verbreiten und, in einem späteren Stadium, durch Mutationen noch gefährlicher zu werden. Hielt sich jeder an diese wenigen, einfachen Regeln? Die Antwort kennen wir alle…
Nachdem die Appelle nicht die gewünschte Wirkung entfalteten, wurden die Verordnungen zahlreicher, detaillierter und damit komplizierter. Zunehmend wurden Menschen verzweifelter und einige versuchten, Schlupflöcher in dem Regelungswust für sich zu entdecken, statt sich an den Geist der Vorgaben zu halten – den Virus an der Verbreitung zu hindern, indem man Kontakte vermeidet, Abstand hält, Masken trägt usw. Der Virus nutzt das Fehlverhalten bis heute gnadenlos aus.
Kaum anders sieht es in einem Unternehmen aus. Die große Mehrheit der Mitarbeiter:innen, Führungskräfte und Mitglieder einer Geschäftsleitung verhalten sich regelkonform, und zwar, weil sie es für richtig halten, weil sie verstanden haben, dass der willkürliche Regelverstoß des Einzelnen das Ende eines friedlichen und geordneten Zusammenlebens aller bedeutet, wie es schon im 17. Jahrhundert Philosophen wie Thomas Hobbes und John Locke erkannt haben.
Der Verstoß gegen die einfachen Corona-Regeln kostet Menschenleben, der Verstoß gegen Compliance-Vorgaben kann ein Unternehmen nicht nur in seinem Bestand gefährden, sondern in die Insolvenz treiben, Werte und Arbeitsplätze vernichten.
Am Ende sind die innere Haltung und Transparenz die natürlichen Feinde der Gesetzesverstöße.
Eine Frage der Kultur
Am Ende des Tages ist daher die Einhaltung der gesetzlichen Regeln und internen Unternehmensrichtlinien eine Frage der inneren Haltung, der Kultur. Reden wir von Unternehmen, ist es also eine Frage der Unternehmenskultur und damit der Compliance-Kultur.
Nicht selten ist es eine Herausforderung für eine Geschäftsleitung, alle Mitarbeiter:innen in gleicher Weise für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu begeistern. Es gilt so viel zu beachten und manche Normen sind für den Einzelnen schwer nachvollziehbar. Auch gibt es immer das Argument, dass sich andere auch nicht an die Regeln halten; warum sollte man der einzige „Dumme“ sein, der sich rechtskonform verhält? Auch wird gern eingewandt, dass man schon immer den Kund:innen großzügige Weihnachtsgeschenke an die Privatadresse gesendet hat – und daher ein falscher Eindruck entstünde, wenn man diese geübte und beliebte Praxis plötzlich einstellen würde.
Hier kommt es darauf an, dass die Geschäftsführung und ihre Führungskräfte signalisieren, dass genau dieser Eindruck erwünscht ist, dass wir uns nämlich an die Regeln halten, dass wir durch unsere Qualität und ein exzellentes Preis-Leistungsverhältnis bestechen, jedoch nicht durch unzulässige Geschenke.
Compliance muss gelebt werden
US-amerikanische Studien zur moralischen Prägung des Verhaltens der Menschen haben gezeigt, dass 80% der Menschen ihr ethisches Verhalten an dem der Gruppe ausrichten, in der sie sich bewegen. Die übrigen 20 Prozent verfügen über ein so stabiles ethisches Gerüst, dass, unabhängig vom Verhalten anderer, das eigene moralisch einwandfreie Verhalten vorgibt. Überträgt man dies auf die Unternehmenswelt bedeutet es, dass sich das Team, in dem eine Arbeitskraft arbeitet, prägend auf dessen Verhalten auswirkt. Ein:e Wortführer:in in einer Gruppe, die/den man vielleicht aus Compliance-Sicht als „faulen Apfel“ bezeichnen müsste, kann daher ein ganzes Team zu einem Compliance-Problem machen.
Es kommt also für eine Geschäftsleitung maßgeblich darauf an, durch das Vorleben von Compliance und regelmäßige Botschaften, die auf ganz unterschiedlichen Kanälen „gesendet“ werden, sicherzustellen, dass allen Mitarbeiter:innen der Rücken in Bezug auf Compliance gestärkt wird.
Compliance muss gelebt werden.
Compliance in Besprechungen zu thematisieren, einige Sätze in der Unternehmenszeitschrift zur Vermeidung von Preisabsprachen im Vorfeld einer wichtigen Messe oder intern gute Leistungen in Bezug auf die Compliance einer Abteilung zu belohnen und Compliance-Verstöße entsprechend zu sanktionieren, all dies stärkt die Anstrengungen sich regelkonform zu verhalten und schwächt diejenigen, die meinen Regeln, gelten nur für Arme oder seien bestenfalls als ein Vorschlag zu verstehen. Der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel!
Whistleblower Hotline
Vor diesem Hintergrund mag es nicht wundern, dass der Gesetzgeber die Compliance-Anstrengungen der Unternehmen dadurch fördern will, dass er Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeiter:innen dazu verpflichtet, einen sicheren Meldekanal einzurichten, über den Compliance-Verstöße oder Compliance-Risiken gemeldet werden können, gegebenenfalls auch anonym und grundsätzlich frei von Sanktionen oder Repressionen. Bis Ende Dezember 2021 ist dies umzusetzen.
Dies eröffnet Unternehmen eine weitere Möglichkeit, von ihren Mitarbeiter:innen Informationen über Compliance-Verstöße zu erhalten, die ihnen sonst verborgen geblieben wären, da sich eine Beschäftige u.U. nicht getraut hätte, dies den Vorgesetzten zu melden. Das Compliance-Risikomanagement des Unternehmens kann dadurch weiter verbessert werden.
Auch setzt die Geschäftsleitung damit das Signal, dass Missstände nicht geduldet werden dürfen und dass das Unternehmen daher auch in Bezug auf seine Compliance immer besser werden will. Jedes weitere Mittel, um die Transparenz im Unternehmen zu erhöhen, ist daher hilfreich, will man die Compliance-Kultur und damit die Nachhaltigkeit der Compliance-Anstrengungen im Unternehmen verbessern.
Am Ende sind die innere Haltung und Transparenz die natürlichen Feinde der Gesetzesverstöße.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Kark berät seit mehr als 10 Jahren mittelständische Unternehmen beim Aufbau von maßgeschneiderten Compliance-Managementsystemen. Dazu führt er u.a. Compliance-Risikoaudits und -Trainings durch. Die Entwicklung von Compliance-Prozessen, z.B. das Compliance-Risikomanagement, gehören ebenso zum Beratungsumfang, wie die Formulierung des Verhaltenskodexes und der Compliance-Richtlinien.
Prof. Dr. Kark ist Autor verschiedener Aufsätze sowie zweier Bücher zu Compliance-Themen („Compliance-Risikomanagement“, C.H. Beck, 2. Aufl. 2019 sowie „Plötzlich Compliance Officer, Erste Hilfe für den Einstieg in das Compliance Management“, C.H. Beck, 2021).