Dr. Stefan Krüger und Susanne Quecke, Rechtsanwälte bei Mütze Korsch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Veröffentlicht in: DiALOG - DAS MAGAZIN FÜR ENTERPRISE INFORMATION MANAGEMENT | MÄRZ 2015
Das „Siemens/Neubürger-Urteil“ des LG München I und Auswirkungen auf die Praxis
In einem vielbeachteten Urteil (Az. 5HK O 1387/10) hat sich das LG München I mit der Ausgestaltung von Compliance- Organisationen und hiermit einhergehenden Organisationspflichten des Vorstandes auseinandergesetzt. Im Folgenden wird zunächst auf den Inhalt und anschließend auf die praktischen Auswirkungen eingegangen. Auch wenn sich das Urteil auf die Aktiengesellschaft bezieht, dürfte es jedenfalls bei der GmbH dem Grunde nach entsprechend gelten.
Zu dem Urteil
Die Siemens AG hatte ihr ehemaliges Vorstandsmitglied, Herrn Neubürger, auf Schadensersatz in Höhe von 15 Mio. € verklagt. Bei diesem Betrag handelte es sich um 12,85 Mio. € Rechtsanwaltskosten für die Aufklärung von Compliance-Verstößen und 2,15 Mio. € als Zahlung auf einen (mutmaßlich) unwirksamen Beratervertrag. Die Siemens AG warf Herrn Neubürger vor, seine Vorstandspflichten verletzt zu haben, indem er – sehr vereinfacht dargestellt – nach den Feststellungen des LG München I trotz Kenntnis von zunächst „schwarzen Kassen“ und später Scheinberaterverträgen zur Verschleierung von Korruptionszahlungen keine hinreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Systemüberprüfung ergriffen habe.
Das LG München I hat der Klage stattgegeben und (unter anderem) wie folgt tenoriert:
- Im Rahmen seiner Legalitätspflicht hat ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn es eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.
- Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems gehört zur Gesamtverantwortung des Vorstandes.
- Der Vorstand ist verpflichtet, eine Compliance-Organisation einzurichten. Dies folgt aus dem Legalitätsprinzip. Aufgrund dessen sind Organmitglieder verpflichtet, für die Einhaltung aller einschlägigen Regelungen im Unternehmen zu sorgen. Für Art und Umfang der Compliance-Organisation gibt es kein Patentrezept. Die Anforderungen sind einzelfallbezogen zu beurteilen, so anhand der Größe, Art und Organisation des Unternehmens, der zu beachtenden Vorschriften, der geographischen Präsenz und Verdachtsfällen aus der Vergangenheit. Auch vor diesem Hintergrund ist mit einem Fragezeichen zu versehen, ob der IDW PS 980 der richtige Maßstab ist, auch wenn er sicherlich wichtige Anhaltspunkte und Gestaltungshinweise liefert. Wie bei jedem IDW-Standard entfaltet dieser keine rechtsgleiche Wirkung, sondern ist Verbandsrecht der Wirtschaftsprüfer. Angesichts der Komplexität kann es im Einzelfall geboten sein, sich nicht lediglich interner Ressourcen innerhalb des Unternehmens zu bedienen, sondern auch Externe hinzuzuziehen.
- Mit der bloßen Einrichtung eines Compliance-Systems („Ob“) ist es nicht getan.
- Es ist ein „Pflichtenheft“ („Wie“) mit Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung zu erstellen, das eingehalten und „gelebt“ werden muss. Dies muss ein entsprechendes Berichtswesen beinhalten.
- Bei Verdachtsmomenten/Verstößen ist unverzügliches Handeln erforderlich („Aufklären, Abstellen, Ahnden“). Dies ist nachzuhalten.
- Die Compliance-Verantwortung ist dem Vorstand originär zuzuordnen; dieser trägt die Gesamtverantwortung. Auf Vorstandsebene sollte – ungeachtet des Grundsatzes der Gesamtverantwortung – ein Vorstand für Compliance verantwortlich sein. Diesem sollten die entsprechenden Kompetenzen und Weisungsrechte eingeräumt werden. Dessen ungeachtet sollten sich sämtliche Vorstände intensiv dem Thema Compliance widmen und regelmäßig die effektive Funktionsweise der Compliance-Organisation überprüfen, sich informieren und gegebenenfalls nachjustieren, vor allem bei Verdachtsfällen bzw. Verstößen. Eine Delegation auf eine Ebene unterhalb des Vorstandes ist nach Ansicht des LG München I unzulässig. Der Vorstand kann zwar Aufgaben delegieren, so z. B. an einen CCO oder die Compliance-Abteilung. Dies enthebt ihn jedoch nicht seiner eigenen Verantwortung und Haftung. Daher ist eine entsprechende Kontrolle durch den Vorstand unabdingbar.
- Ein überstimmtes Vorstandsmitglied kann sich nicht entlasten, wenn sich die Notwendigkeit zur Verbesserung der Compliance-Organisation geradezu aufdrängen musste. Notfalls muss es an den Aufsichtsrat, ggf. auch die Gesellschafter herantreten.
- Im Hinblick auf die Beweislast ist einmal mehr eine gute Dokumentation gefordert, was aber gerade bei ausgeschiedenen Vorständen, die keinen Zugriff mehr auf Unterlagen haben, ein Problem sein kann.
Fazit
Die vom LG München I angesetzten strengen Maßstäbe werden vorerst Bestand haben. Die Siemens AG und der zwischenzeitlich durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Herr Neubürger haben sich vergleichsweise geeinigt. Das LG München I fordert nicht nur die Einrichtung einer Compliance-Organisation, sondern vor allem dessen wirksame Überwachung durch jedes einzelne Vorstandsmitglied. Zwar sind die entsprechenden Pflichten des Vorstandes einzelfallbezogen zu beurteilen. Das LG München I legt insoweit jedoch einen strengen Maßstab an. Dies führt zu einer Erweiterung der Haftungsrisiken für Vorstände. Vor diesem Hintergrund muss sich jeder Vorstand stets selbst mit der gehörigen Sorgfalt mit dem Thema Compliance auseinandersetzen.
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