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Der Wandel beginnt in den Köpfen
Digitaler Wandel: Mensch, Motivation, Methodik
Veröffentlicht in: DiALOG - DAS MAGAZIN FÜR ENTERPRISE INFORMATION MANAGEMENT | MÄRZ 2017„Wir werden uns immer mehr bewusst, dass die wichtigsten Fragen nicht technische, sondern menschliche Fragen sind“, schrieb der legendäre Management-Pionier Peter Drucker bereits 1967. Heute, wo wir den digitalen Wandel hautnah erleben, lassen sich aus dieser Mahnung eine Reihe von Fragen ableiten, die Unternehmen sich mit Blick auf die digitale Transformation stellen müssen. Wir sprachen darüber mit Steffen Schaar, Mitglied der Geschäftsleitung von The Quality Group. Das Unternehmen hat sich besonders durch die Kombination von prozessorientierter Beratung mit technischem Lösungsknow-how einen Namen gemacht.
Schaar: Veränderung kommt vom Menschen. Der Mensch muss die Geschäftsprozesse gestalten, sie dürfen ihm nicht übergestülpt werden. Es wird immer viel Geld in IT-Projekte investiert, aber viele Projekte scheitern oder weichen zumindest enorm vom veranschlagten Budget ab. Warum ist das so? Weil vor allem in Technologien gedacht wird, nicht in den Organisationsprozessen, die von den entsprechenden Technologien unterstützt werden
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Führung wird immer wichtiger
Zweifellos, die meisten Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren stark verändern. Neben ihren Strukturen und den Arbeitsbeziehungen in ihnen werden sich oft auch ihre Geschäftsmodelle wandeln. Doch eines wird sich nicht verändern: der Mensch Mitarbeiter. Er wird sich weiterhin Halt und Orientierung wünschen – gerade wenn im Unternehmen selbst und in dessen Umfeld scheinbar alles im Fluss ist.
Doch wer soll ihm dieses Gefühl vermitteln, wenn im Unternehmen sozusagen alles permanent auf dem Prüfstand steht? Letztlich können dies nur die Führungskräfte sein. Deshalb ist die These nicht gewagt: Führung wird künftig in den Unternehmen immer wichtiger werden – gerade weil es im Unternehmenskontext sonst nichts mehr gibt, worauf man als Mitarbeiter bauen und vertrauen kann.
Führung muss sich ändern
Soweit, so beruhigend. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sich Führung nicht verändert. Im Gegenteil! Die Art zu führen, muss sich im digitalen Zeitalter radikal wandeln. Denn folgende Entwicklungslinien sind in den Unternehmen unverkennbar.
- Die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen werden zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht.
- Die für die Kunden erbrachten Lösungen setzen immer mehr Spezialwissen voraus, das die Führungskräfte oft selbst nicht haben.
- Die von den Unternehmen erarbeiteten Strategien, Planungen usw. haben eine immer kürzere Gültigkeitsdauer. Und:
- Die Führungskräfte und ihre Bereiche stehen immer häufiger vor Herausforderungen, für die sie noch keine Lösung haben.
Wie ist in einem solchen Umfeld erfolgreiche Führung möglich – wenn die Führungskräfte einen immer geringeren (disziplinarischen) Zugriff auf ihre Mitarbeiter haben und – salopp formuliert – auch nicht schlauer als diese sind?
Führungskräfte müssen „Marken“ werden
Nach dem klassischen Befehl- und Gehorsam-Prinzip ist dies nicht möglich; ebenso wenig dadurch, dass die Führungskräfte versuchen, sich als Alles-besser-Wisser zu profilieren. Der einzig mögliche Lösungsweg ist: Die Führungskräfte müssen sich zu echten Leadern entwickeln, also Persönlichkeitsmarken, denen die Mitarbeiter vertrauen.
Eine Marke kennzeichnen zwei Faktoren. Erstens: Sie ist aufgrund ihres Auftritts beziehungsweise Erscheinungsbilds wiedererkennbar. Und zweitens: Sie gibt den Kunden ein klares Leistungsversprechen – so wie dies zum Beispiel die Unternehmen Audi und BMW mit ihren Slogans „Vorsprung durch Technik“ beziehungsweise „Freude am Fahren“ tun.
Erkennbar für gewisse Werte stehen
Ähnlich verhält es sich mit Fühungskräften, die eine „Persönlichkeitsmarke“ sind. Auch sie stehen für ihr Umfeld erkennbar für konkrete Werte und Überzeugungen, die sich in ihrem Verhalten zeigen. Also lautet eine Anforderung an Führungskräfte, die eine Persönlichkeitsmarke werden möchten: Sie müssen sich ihrer Werte und Überzeugungen sowie Stärken bewusst werden – also darüber, was sie als Person einzigartig und unverwechselbar macht. Dazu zählt auch das Kennen der eigenen Schwächen. Denn erst aus dem Bewusstsein unserer Stärken und Schwächen erwächst das erforderliche Selbstverständnis für unsere mögliche Wirkung. Und dieses hilft uns wiederum, nicht nur an „Schönwetter-Tagen“, sondern auch, wenn es (im Unternehmen oder Markt) „stürmt und schneit“ eine souveräne Haltung einzunehmen und zu zeigen. Und dies ist wiederum ein Signal für unsere Umwelt: Dieser Marke beziehungsweise Person kannst du vertrauen.
Sich präsentieren und vermarkten
„Werden Sie als Führungskraft eine Marke und präsentieren und vermarkten Sie sich entsprechend“ – diese Aufforderung stößt bei vielen Führungskräften auf Vorbehalte. Denn mit dem Begriff „Vermarktung“ assoziieren sie Attribute wie „schrill“ und „laut“. Doch nur wenige Marken sind so schrill und laut wie Afri Cola. Weit mehr setzen auf ein unaufgeregtes Under-Statement.
Ähnlich verhält es bei der Selbst- Vermarktung von Führungskräften. Auch hier geht es nicht darum, stets am lautesten zu schreien, sondern immer wieder nach außen zu zeigen und zu artikulieren,
- wofür man steht und
- was einem als Person wichtig ist.
Denn so entstehen Glaubwürdigkeit und somit Vertrauen. Und diese Faktoren werden für den Führungserfolg in der von Veränderung geprägten VUCA-Welt immer wichtiger.
die Abläufe zugrunde legen. Bei aller Digitalisierung müssen doch die gesamte Unternehmensorganisation und die direkt in die Prozesse involvierten
Mitarbeiter auf die digitale Reise mitgenommen werden.
Redaktion: Menschen hängen oft an den gewohnten Abläufen und Prozessen. Sie tauschen sie ungern gegen neue ein?
Schaar: Da muss ich Ihnen widersprechen. Menschen sind vielmehr interessiert daran, Abläufe effizienter zu gestalten, wenn sie einen Sinn darin sehen. Sie wissen, dass Wissens-Management, Qualitätssicherung und Qualitätsausbau, Transparenz der Prozesse sowie compliantes Handeln zu den herausragenden Wettbewerbsfaktoren gehören. Die Prozesse müssen darauf ausgerichtet sein. Redaktion: Wir erleben gerade, dass eine Reihe dieser Faktoren nicht von allen in der Wirtschaft ernst genommen werden - wie uns das Beispiel VW zeigt. Schaar: Das von Ihnen genannte Beispiel zeigt, dass gerade strukturiertes Informations-Management mit abteilungsübergreifenden Prozessen für ein hohes Maß an Transparenz sorgen kann und damit solche weitreichenden strategischen Fehlleistungen rechtzeitig erkannt und vermieden werden können. Eine durchdachte Prozess-Organisation hilft beim Bewerten und Analysieren von Risiken, die bei strategischen Maßnahmen auftreten können. Wie auch im von Ihnen angesprochenen Beispiel hat der Spruch „Gut ist der Feind von exzellent“ – tragische Bedeutung, denn „gut“ war gestern. In Zeiten von Agilität und digitaler Transformation muss mehr denn je die ständige Erneuerungs- und Controlling-Kultur in den Köpfen der Menschen verankert werden.
Redaktion: Kommen wir zurück zu den Treibern, die den digitalen Wandel beschleunigen: Die mobilen Systeme, v. a. Smartphones, die Vernetzung und das damit verbundene Datenwachstum (Big Data) sowie die Cloud. Wie müssen sich Unternehmen darauf einstellen?
Schaar: Wir erleben mit der Digitalisierung eine neue Ära im Umgang mit Informationen sowohl mit Blick auf den Verbraucher wie auch auf die Anbieter von Produkten und Dienstleistungen. Auf die Unternehmen bezogen bedeutet dies Integration von Wissen und Prozessen statt Abteilungsdenken, Transparenz statt nur Daten zu sammeln und anzuhäufen und Geschäftsprozess-Denken statt IT-Denken.
Redaktion: Was genau meinen Sie mit Geschäftsprozess-Denken versus IT-Denken?
Schaar: Allzu oft hat die IT in den letzten Jahren die Entscheidung treffen dürfen, welche Potenziale die Fachbereiche durch die IT erreichen können. Heute beobachten wir, dass die Fachbereiche vermehrt selbst ihre Organisationspotenziale anhand von des KVP – kontinuierlichen Verbesserungsprozesses – beschreiben und dann auch am Leben erhalten werden. Denn nur der Schmerz ist der Anreiz für jede Besserung. Das hat sich auch nach mehr als zehn Jahren Business Process Management (BPM) nicht geändert.
„Für die Digitalisierung brauchen wir die IT, aber sie ist nicht das Ziel, sondern das Werkzeug."
Schaar: Die Prozessgestaltung gehört zweifellos in die Fachabteilungen. Das gilt vor allem für die klar fachbezogenen Prozesse. Die IT muss zum Servicedienstleister der Fachabteilungen werden. Das setzt eine verständliche Kommunikation zwischen den beiden Unternehmensinstitutionen voraus. Die eigentliche Herausforderung besteht aber in der größeren Flexibiliät der Organisationsstrukturen. Aufgabenbereiche müssen u. U. durchlässiger werden, mehr Agilität in den Fachabteilungen und den voneinander abhängigen Abteilungen und Geschäftsbereichen ist erforderlich. Das Wissensmanagement muss unternehmensweit konzipiert und u. U. technologisch unterstützt werden.
Redaktion: Ihr Unternehmen The Quality Group gehört zu den Pionieren, die sich von dem Begriff ECM, Enterprise Content Management, landläufig auch als Dokumenten-Management bezeichnet,
abgewendet hat und sich EIM, Enterprise Information Management auf die Fahnen geschrieben hat. Warum?
Schaar: EIM beschreibt nicht mehr IT-Lösungen oder Techniken, sondern Werte durch IT-Lösungen. So haben wir unsere Definition von EIM in den letzten Jahren auch schon ergänzt und weiterentwickelt und beschreiben derzeit den Nutzen durch EIM mit einem Ansatz zur Transparenz Ihrer Prozesse und Verträge, Beschleunigung der Standards unternehmensweit, Minimierung von
Risiken und Einhaltung von Compliance. Die richtigen Informationen, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort – Informationsprozesse, die alle Mitarbeiter mitgestalten. Es fängt in einer bewussten, nachhaltig gestalteten Kommunikation an und hat als Zielstellung abteilungsübergreifende und strukturierte Informationsprozesse. Dafür haben wir strategische Angebote in Form von Beratung und Lösungen für nachhaltigen Umgang mit Informationen, die strukturiert und messbar sind. Messbarkeit war leider in den administrativen Bereichen bisher ein Fremdwort. Mit EIM werden Ansätze etabliert und gelöst, die über KPI (Key Performance Indicator) der Strukturierung und Informationsbeherrschung einen greifbaren praktischen Verbesserungsansatz liefern. Deswegen heißt unsere Beratungsmethode OPH
– Organisations- und Prozesshandbuch – und ein Lösungsansatz in Form einer elektronischen Product Suite LCM – Life Cycle Management für Enterprise Information Management.
„EIM ist für uns eine Methodik, die Tugenden, Wertvorstellungen, Maßstäbe und Qualitätsbewusstsein anspricht.“
Schaar: Die Frage ist nicht, ob ECM richtig oder falsch ist. ECM war vor mehr als einer Dekade eine strukturierte Beschreibung, heute liegen die Prioritäten mehr in dem Strukturieren von Information, übergreifend betrachtet im „Enterprise“ und dem qualitätsbewussten Management. Die technischen Ansätze von ECM werden uns als Basis weiterhin begleiten. Sie sind die Grundlage, um die digitalen Anwendungen, – ob Content-Management, Collaboration oder viele andere ECM-Funktionen – auch weiterhin in EIM zu integrieren. Aber EIM ist für uns eine Methodik, die Tugenden, Wertvorstellungen, Maßstäbe und Qualitätsbewusstsein anspricht. Für die Digitalisierung brauchen wir die IT, aber sie ist nicht das Ziel, sondern das Werkzeug. Und für die digitale Transformation brauchen wir die Mitarbeiter und eine Unternehmenskultur, die die digitale Organisationsstruktur mitformt.
Redaktion: Ihr Unternehmen hat zusammen mit dem VOI einen Preis, den DiALOG-Award, ins Leben gerufen, der in diesem Jahr zum vierten Mal ausgeschrieben wird. Warum nennen Sie die Auszeichnung DiALOG- und nicht EIM-Award?
Schaar: Ich möchte gern der Vollständigkeit halber ergänzend den Untertitel hinzufügen: „Excellence with EIM“. Die Bezeichnung „DiALOG“ entspricht unserer Leitlinie und den zeitgemäßen Anforderungen gerade mit Blick auf den digitalen Wandel in Wirtschaft und Unternehmen. Sie steht für Dialog mit unseren Kunden als strategisches Konzept, sie steht für Dialog in unserer
Beratungsstrategie und auch für Dialog zwischen den Abteilungen in den Unternehmen und den Akteuren. Diesen Dialog wollen wir mit unserer Methodik EIM unterstützen. Und Dialog steht letztendlich auch für die Kommunikation der Unternehmenskunden mit ihren Anbietern. Denn der Kunde als Mensch und Mitarbeiter wird durch die zunehmende Digitalisierung zu einem noch wichtigeren Glied in der Wertschöpfungskette der Unternehmen. Dafür motiviert dieser Preis und setzt mit dem Zusatz „Excellence“ – besondere Wertmaßstäbe an kontinuierliches, nachhaltiges und innovatives Handeln.
Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schaar.
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